„Tone in the Middle“

Wie Führungskräften der Aufbau einer Compliance-Kultur gelingt.

Für Manager mit Personalverantwortung kommt daher eine wichtige Aufgabe zu. Nur wenn sie sich intensiv dem Thema Compliance-Kultur in ihrem Team auseinandersetzen, wird es ihnen gelingen, die Richtlinien gemeinsam mit ihrer Mannschaft eigenverantwortlich und proaktiv umzusetzen. Führungskräfte sind daher gut beraten, bei Compliance eine Pull- und Push-Strategie verfolgen.

Wenn Führungskräfte heute nach ihren größten Herausforderungen im Beruf gefragt werden, fällt neben digitaler Transformation oder Fachkräftemangel häufig auch der Begriff Compliance. Die Einhaltung von neuen Regeln und zusätzlichen Richtlinien ist nicht nur die Aufgabe der Fachkollegen, sie stellt auch Personalverantwortliche vor neue Fragen. Dabei ist Compliance kein kurzfristiger US-amerikanischer Managementtrend, sondern eine Herausforderung für die gesamte Unternehmenskultur. Jenseits von Compliane-Regeln und Verhaltenkodizes müssen sich Führungskräfte für eine integre Kultur stärker mit ihrem Führungsverhalten auseinandersetzen.

Der Aufbau einer Compliance-Kultur beginnt an der Spitze des Unternehmens und wird idealerweise „top-down“ entwickelt. Compliance ist damit im Kern eine Leitungsaufgabe. Nur wenn der CEO glaubhaft vermittelt, dass Compliance kein „nice-to-have“ ist, sondern im Geschäftsalltag hohe Relevanz besitzt, werden sich Führungskräfte und Mitarbeiter daran orientieren.

Führungskräfte sind dabei keine reinen Befehlsempfänger. Im Gegenteil: Manager mit Personalverantwortung sind das Zünglein an der Waage. Sie entscheiden, ob das Management zur Lehmschicht oder zum Change-Facilitator wird.

Die Einführung von Compliance-Strukturen stellt Abteilungsleiter und Teamverantwortliche häufig vor große Herausforderungen. Neben den bestehenden anspruchsvollen Finanz-, Vertriebs- und Kostenzielen, erwartet das Top-Management inzwischen von seiner Führungsmannschaft auch, dass sie eine Compliance-Kultur in ihren Abteilungen entwickelt. Dies führt häufig zu einem herausfordernden Spagat, und die Manager mit Personalverantwortung finden sich in einer unbequemen Sandwich-Position wieder.

Wie lösen Führungskräfte das Dilemma auf?

Compliance- Experten konzentrierten sich bisher auf die Ebene der Geschäftsleitung. Der „Tone from the Top“ wurde zur Conditio sine qua non erhoben. Inzwischen wird dem mittleren Management beim Aufbau von Ethik und Integrität auch eine größere Bedeutung zuerkannt.
Denn der „Tone from the Top“ und die einheitlichen Äußerungen zu Compliance, die „one voice“, können die Mitarbeiter nur erreichen, wenn die Führungskräfte als „Verstärker“ und Übersetzer dienen. Glaubwürdigkeit und Authentizität ist dabei wichtig, denn Mitarbeiter spüren sofort, wenn Führungskräfte nur Lippenbekenntnisse von sich geben, sich aber den Unternehmenswerten nicht ernsthaft verpflichtet fühlen. Auch hier gilt: Die Organisation ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied.

Für Manager mit Personalverantwortung kommt daher eine wichtige Aufgabe zu: Nur wenn sie sich intensiv dem Thema Compliance-Kultur in ihrem Team auseinandersetzen, wird es ihnen gelingen, die Richtlinien gemeinsam mit ihrer Mannschaft eigenverantwortlich und proaktiv umzusetzen. Führungskräfte sind daher gut beraten, bei Compliance eine Pull- und Push-Strategie verfolgen. Zum einen sollten sie fehlenden „Tone from the Top“ von der Geschäftsleitung einfordern. Zum anderen sollten sie den Mitarbeitern proaktiv wichtige Informationen zu Ethik und Werten zukommen lassen und ihnen bei der Interpretation der Richtlinien Hilfestellung geben.

Der Werkzeugkasten für Führungskräfte

Der Werkzeugkasten für Führungskräfte

Welche Tools und Maßnahmen eignen sich für Führungskräfte, um die Compliance-Kultur im Team zu fördern?
Neben klassischen Maßnahmen, wie Info-Paketen und Teammeetings sind kulturelle Maßnahmen und Führungsmethoden wichtig.

  • Info-Pakete: Die Unternehmenskommunikation oder Personalabteilung stellen häufig Info-Pakete mit speziellen Informationen für Führungskräfte zusammen. Wordings, FAQs und Hintergrundinformationen sollen den Managern Unterstützung beim Gespräch mit Mitarbeitern geben. Doch wenn die Informationen lediglich referiert werden, bleiben Glaubwürdigkeit und Authentizität auf der Strecke. Wer als Führungskraft bei seinen Mitarbeitern überzeugend auftreten will, sollte seine persönliche Note im „Tone in the Middle“ finden.
  • Im Dialog bleiben: Zusätzliche Regeln, Richtlinien und Vorschriften können bei Mitarbeitern zu Beginn Verunsicherung oder Angst auslösen. Führungskräfte sollten daher regelmäßig Mitarbeiter- oder Team-Gespräche sowie Workshops organisieren, um über Compliance-Fragen ins Gespräch zu kommen. Sicherheit im Umgang mit den Regeln entsteht nur durch eine gute Kenntnis der Materie.
  • Grauzonen ausleuchten: Die Anwendung von Regeln im Arbeitsalltag ist nicht immer leicht, denn Entscheidungen sind nicht immer schwarz-weiß. Gerade in den Grauzonen können sich unerkannte Compliance-Risiken verstecken. Und nur wenn die Mitarbeiter sicher in diesen Grauzonen fühlen, können sie proaktiv handeln. Manager sollten daher in Workshops oder Trainings besonderes Augenmerk auf diese ambivalenten Fälle legen.
  • Mittendrin statt nur dabei: In vielen Unternehmen bestehen Compliance-Trainings aus Online-Schulungen und elektronischen Tutorials. Doch bei diesen Lernmethoden werden Mitarbeiter zu reinen Konsumenten. Transfer- und Lerneffekte sind dagegen deutlich größer, wenn Team-Workshops zu fachspezifischen Fragestellungen durchgeführt werden.
  • “Teach back”: Für eine nachhaltige Verankerung von Lerninhalten eignet sich beispielsweise die „Teach-back“-Methode. Führungskräfte oder Mitarbeiter bereiten die Inhalte selbstständig vor und präsentieren sie den Kollegen. Durch die Aneignung und Wiedergabe des Wissens werden die Informationen nachhaltiger gespeichert.

Neben Trainingsmodulen und Informationen ist der Führungsstil des Managers ein wichtiger Pfeiler für den Ausbau einer positiven Compliance-Kultur.

Führungskräfte sollten mehr sein als reine Lautsprecher.

Führungskräfte sollten mehr sein als reine Lautsprecher.

  • Speak-up culture: Die Führungskraft muss bei allen Compliance-Fragen der erste Ansprechpartner der Mitarbeiter sein. Wer eine „speak-up culture“ fördert, erlaubt es seinen Mitarbeitern, Probleme und Konflikte rund um Compliance offen anzusprechen. Mitarbeiter können nur in einer vertrauensvollen Gesprächsatmosphäre Fragen, Zweifel oder mögliche Fehler adressieren.
  • Kultur des Vertrauens: Das Ziel einer Compliance-Kultur ist Transparenz und Integrität im Arbeitsalltag. Führungskräfte sollten mit gutem Beispiel voran gehen, ihren Mitarbeitern Vertrauen entgegenbringen und mit ihnen die Umsetzung der ethischen Werte des Unternehmens besprechen.

Eine starke Mitte

Ethik und Integrität entstehen in Unternehmen nicht kurzfristig. Das Verständnis für Werte und ethisches Engagement muss sich in den Teams langsam und nachhaltig entwickeln. Dies gelingt am besten über kontinuierliche Auseinandersetzungen. Wenn Mitarbeiter ermuntert werden, über ethische Fragen im Arbeitsalltag zu sprechen, können Kollegen gemeinschaftlich mögliche Compliance-Dilemmata diskutieren.

Gerade Mitarbeiter, die im operativen Tagesgeschäft tätig sind, wissen sehr genau, wo potenzielle Compliance-Risiken lauern oder wo offene Flanken bestehen. Dieses Wissen können Führungskräfte gut einsetzen, um die Risiken für das Unternehmen aufzuzeigen und abzusichern.

Komplexe Fragen oder schwierige Fälle müssen Führungskräfte mit dem Compliance-Manager oder der Geschäftsleitung diskutieren. Wenn dabei tiefgreifende Interessenkonflikte auftauchen, kann auch die Einschaltung eines in Wirtschaftsfragen erfahrenen Mediators ratsam sein, um eine tragfähige Lösung für alle Beteiligten zu finden.

Seismographen für Werte-Fragen

Die Rückmeldungen der Mitarbeiter zu Compliance, Ethik und Integrität sind wichtige Informationsquellen für die Vorgesetzten. Mitarbeiter kennen nicht nur die Risiken im Alltag, sie haben auch ein feines Gespür für ambivalente Botschaften der Geschäftsleitung und der Manager („Compliance? Ja, aber…“).

Und nicht zuletzt registrieren Mitarbeiter sehr genau, wie der direkte Vorgesetzte, auf Compliance-Fragen reagiert. Spricht er Dinge an? Schaut er lieber weg? Das Feedback der Mitarbeiter zu gelebter Compliance in der Abteilung ist ein wichtiger Anhaltspunkt zur Steuerung des eigenen Verhaltens.

Glaubwürdigkeit und Gerechtigkeit

Glaubwürdigkeit im Unternehmen entsteht durch konsequentes Handels des Managements – oder wird davon untergraben. Für die meisten Mitarbeiter ist es wichtig, dass sie darauf vertrauen können, im Zweifelsfall vom Management fair behandelt zu werden.

Glaubwürdigkeit im Unternehmen wird vom Management verstärkt - oder untergraben. Die Entscheidung liegt bei den Führungskräften. #Leadership Klick um zu Tweeten

Diese „gefühlte Gerechtigkeit“ trägt entscheidend zum Aufbau einer integren Unternehmenskultur bei. Ebenso wie auch die mögliche Toleranz für Fehlverhalten bei besonders leistungsstarken Mitarbeiter.

Wenn High-Performer bei Compliance-Verfehlungen geringere Strafen fürchten müssen als Low-Performer, sendet das deutlichere Signal ins Unternehmen als jeder wohl formulierte Tone from the Top. Schließlich zählen auch hier Taten mehr als Worte.

Das Wichtigste auf einen Blick:

  • Compliance beginnt bei der Unternehmensleitung, doch die Führungskräfte sind die entscheidenden Erfolgsfaktoren.
  • Manager müssen einem Tone from the Top eine individuelle Note verleihen, damit ihre Aussagen bei den Mitarbeitern erfolgreich ankommen sollen.
  • Die Führungskraft muss Authentizität und Glaubwürdigkeit ausstrahlen. Nur so kann Compliance im operativen Geschäft gelebt werden.
  • Integrität entsteht in einer Diskussionskultur, die auch mal Fehler zulässt und zu offenen Fragen einlädt.
  • Interaktive Workshops bieten einen nachhaltigeren Lernerfolg als elektronische Tutorials.
  • Um Mitarbeiter im Arbeitsalltag zu stärken, sollten Manager potenzielle Grauzonen ausleuchten, in denen die Anwendung von Regeln ambivalent erscheint.