„Spin it! Denken und überzeugen wie ein Spin-Doktor“
Das passende Buch zu den Vorwahlen in den USA – und ein Lesetipp für Kommunikatoren
Die Kandidaten für den nächsten US-Präsidentschaftswahlkampf hätten sich ein Drehbuchschreiber kaum besser ausdenken können: Eine ehemalige First Lady und ein großmäuliger Multi-Millionär ringen aktuell um die Nominierungen in ihren Parteien. Dabei sind sowohl Hillary Clinton als auch Donald Trump nur die „Gesichter“ des Eisberges. Wahlkampfstrategen, Marktforscher und Spin-Doktoren steuern im Hintergrund jeden Schritt der Kandidaten auf dem Weg ins Weiße Haus.
Spin-Doktoren werden in Hollywood gern eingesetzt, um als graue Eminenzen den Washingtoner Politik-Zirkus‘ zu illustrieren. In „Wag the dog“ oder „Thank you for smoking“ ziehen Spin-Doktoren die entscheidenden Strippen im Hintergrund und verkaufen für ein paar Prozentpunkte ohne Skrupel ihre Großmutter, oder noch lieber, die des Kandidaten. Mein liebster Spin-Doktor der Filmgeschichte wurde von Philip Seymour Hoffman in den „Iden des März“ verkörpert. Beim Filmgenuss auf der Couch macht sich wohlige Gänsehaut breit. Was sind wir froh, einem dieser zwielichtigen Spin-Doktoren nicht im wirklichen Leben zu begegnen.
„Der schlechte Ruf eines kaum bekannten Berufes“
Doch der Beruf des Spin-Doktors ist im wahren Leben weniger glamourös, alkoholgeschwängert und geheimnisumwittert als auf der Leinwand. Mathias Ulmann hat es sich in seinem Buch „Spin it! Denken und überzeugen wie ein Spin-Doktor“ zur Aufgabe gemacht, den „schlechten Ruf eines kaum bekannten Berufes“ zu verbessern.
Erfolgreiches Spinning, also das Drehen einer Meinung, gewinnt in den Zeiten der Digitalisierung kontinuierlich an Bedeutung. Die Digitalisierung des Marketings durch Online-Medien und Soziale Netzwerke führe zu einer Demokratisierung des Marketings, so Ulmann. Kunden und Konsumenten erhalten nicht nur mehr Informationen über Produkte und Dienstleistungen, sondern auch mehr Macht durch digitale Bewertungsmöglichkeiten.
Unternehmen sind gezwungen nach Legitimität zu streben
Unternehmen müssen nun für ihre Marken mehr Verantwortung übernehmen und werden gezwungen stärker nach Legitimität zu streben, erklärt Ulmann. Legitimität, also die Anerkennung von Rechtmäßigkeit, hat inzwischen in der öffentlichen Debatte fast ein ebensolches Gewicht wie die gesetzlich verfasste Legalität. Die aktuelle Diskussion nach der Veröffentlichung der Panama Papers um gesetzlich erlaubte, aber moralisch fragwürdige Steuervermeidung gibt Mathias Ulmanns These Recht.
Das Ziel eines Spin-Doktors ist zum einen die positive Wahrnehmung seines Auftraggebers und zum anderen die Übernahme dessen Botschaften und Standpunkte durch frühere Kritiker. Dies erreicht der Spin-Doktor zum einen durch die Beobachtung der Medien und zum anderen durch die Zentralisierung der Kommunikation und Steuerung der Kontroverse. Die Kontroverse versucht der Kommunikationsstratege zu steuern, in dem er die Äußerungen des Gegners analysiert und passende Gegenargumente entwickelt.
Die wichtigsten Instrumente eines Spin-Doktors sind neben einem guten Leitbild, das sogenannte Framing, das die Anliegen seines „Kunden“ in einen positiven Deutungsrahmen stellt, sowie griffige „Soundbites“, also Textbausteine, die sich besonders gut für die mediale Auseinandersetzung eignen. Was macht ein gutes Leitbild aus? Ein Leitbild muss in der Debatte die Vorteile der eigenen Position deutlich machen und dient als gemeinsame Vorstellung, die illustriert, was die Stakeholder davon haben, wenn dieses Leitbild Wirklichkeit wird.
Was sehr strategisch und analytisch klingt, ist häufig das Gegenteil. Spin-Doktoren arbeiten in einem hoch-emotionalen Umfeld: „Der Spin-Doktor arbeitet mit Stimmungen, Meinungen und Wahrnehmungen, die er lenken, und, wenn möglich, gestalten kann“, so Ulmann.
Was bietet das Buch?
Wer hofft, in „Spin it!“ all die schmutzigen Tricks der grauen Eminenzen aus „House of Cards“ oder „die Iden des März“ zu erfahren, wird enttäuscht. Das Buch von Mathias Ulmann bringt nicht mehr, aber auch nicht weniger als eine Einordnung der Spin-Tätigkeit, einen Einblick in die Instrumente und eine Einführung in die Denkweise von Spin Doktoren.
Der Stil ist kompakt, die Sätze sind dicht formuliert und die Argumente folgen schnell auf einander, ganz so wie Mathias Ulmann spricht. Vielleicht ist dies auch ein Merkmal von Spin-Doktoren, das Ulmann im Buch nicht erwähnt: Um in der medialen Diskussion mithalten zu können, muss man nicht nur schnell denken, sondern auch schnell formulieren können.
Wer sollte über einen Spin-Doktor lesen?
Das Buch von Mathias Ulmann gibt einen Einblick in das Geschäft der Spin-Doktoren. Es macht deutlich, dass Spinning viele Schnittstellen zu klassischer Medien- und Public Relations hat. Wer also sein Geld mit PR, Kommunikation oder Public Affairs verdient, sollte sich zumindest mit den Grundprinzipien des Spinning vertraut machen. Das Buch eignet sich daher in erster Linie für Kommunikatoren, die häufig auch den Beruf des Spin-Doktors abdecken müssen. Doch auch Geschäftsführern und Führungskräften ist es zu empfehlen. Entscheider erfahren hier, wie weit sich politische Kommunikation, aber nicht nur diese, und die öffentliche Meinung drehen lässt – und wie weit eben nicht.
Was hat mich begeistert?
Bei der Lektüre wird deutlich, dass Spinning in der Hauptsache aus ständigen Perspektiven-Wechseln und Flexibilität in der Argumentation besteht. Ähnlich wie in der erfolgreichen Sportart, ist es im politischen Spinning wichtig kontinuierlich in Bewegung zu bleiben, sei es bei der Analyse der gegnerischen Aussagen, beim Formulieren aktueller Soundbites oder bei der Wahrnehmung der Reaktionen auf die eigene Position .
Was hat mir gefehlt?
Um Prozesse, Methoden und Instrumente besser verstehen zu können, sind praktische Beispiele unerlässlich. Hier hätte der Autor meines Erachtens mehr Fallbeispiele bringen können. So kann dem Leser eine bessere Einsicht in die Arbeit des Spin-Doktors gegeben werden. Auch hätten eine Prozessbeschreibung eines Spin-Projektes die einzelnen Schritte und ausgewählten Instrumente für interessierte Leser besser illustriert und nachvollziehbarer gemacht. So bleibt der Text häufig auf abstrakter Ebene, wo mehr Tiefe in der Argumentation spannend gewesen wäre.
Mein Fazit:
Spin-Doktoren umweht immer noch der Hauch des Geheimnisvollen. Der Blick hinter die Kulissen, den Mathias Ulmann gewährt, ist nicht nur überfällig, sondern auch lehrreich. In der Vielzahl der Kommunikationsliteratur füllt „Spin it“ eine der wenigen Lücken. Und das ist schon ein Erfolg an sich.
Insgesamt ist „Spin it!“ aus meiner Sicht eine Leseempfehlung für Kommunikationsmanager, die heute ihre Botschaften noch schneller auf den Punkt bringen müssen und immer wieder die Öffentlichkeit überzeugen müssen. Durch die Demokratisierung der Medien, wie sie Ulmann am Beginn des Besuches beschreibt, werden klassische Kommunikatoren immer mehr zu Spin-Doktoren.
Die Fakten:
Mathias Ulmann
Spin it! Denken und überzeugen wie ein Spin-Doktor
April 2015
221 Seiten Hardcover mit Schutzumschlag
19,90 €
http://www.fazbuch.de/buecher/sachbuecher/spin-it