Corporate Governance
Während sich Ökonomen bei der Suche nach der optimalen Struktur der Governance auf das Verhalten der Manager konzentriert haben, zeigen Hambrick, v. Werder et al., dass diese Perspektive bei der Erforschung der Corporate Governance wichtige Bereiche außer Acht lässt. Von einem verhaltenswissenschaftlichen Standpunkt aus ergeben sich im Bereich Corporate Governance entscheidende Fragen zu Macht und dem Einsatz von Macht im Unternehmen.
Diese Forderung wird auch von den Vereinten Nationen unterstützt. Auf staatenübergreifender Ebene sei hier auf den United Nations Global Compact verwiesen werden, welcher zehn generelle Grundsätze im Hinblick auf Menschen-rechte, Arbeit, Umwelt und Korruptionsbekämpfung aufgestellt hat und damit einen Vertrag den Vereinten Nationen und einzelnen Unternehmen bzw. Organisationen begründet. Denn auf internationaler Ebene gilt es unterschiedliche nationale Regel-werke und internationale Standards über Governance-Strukturen mit Compliance-Aktivitäten in Einklang zu bringen.
Um Compliance und Wertemanagement in eine Unternehmenskultur zu integrieren, schlägt Wieland vor, eine formale und institutionalisierte Governance-Ethik ein-zuführen. Ziel sei es demnach, Governance-Strukturen zu etablieren, die auf allen Ebenen Gültigkeit haben. Dafür definiert Wieland ein Compliance-Management-System, das sowohl die juristische („law-driven“) als auch ethische („value-driven“) Dimension integriert. Neben nationalen Gesetzen und Corporate Governance Kodizes, sollen vor allem auch auf Unternehmensebene formale Wertemanagementsysteme in Form von Codes of Conducts eingeführt und an die Mitarbeiter vermittelt werden. Wieland betont die Notwendigkeit einer parallel zu etablierenden informalen Governance-Struktur, die sich in einer allgemeinen Wirt-schaftskultur, aber vor allem auch in der Unternehmenskultur, manifestiert.
Unternehmenskultur setzt sich für Waldzus und Behringer aus den über einen längeren Zeitraum hinweg entstandenen und akzeptierten Werten und Normen zusammen, die die Entscheidungen und Handlungen eines Unternehmens prägen. Diese Werte und Normen lassen sich durch die Einführung eines Verhaltenskodex‘ institutionalisieren. Der Verhaltenskodex greift an zwei Stellen in die Unternehmenskultur ein: Zum einen werden bisher implizite Werte explizit dargestellt, zum anderen können Werte und Normen verändert werden. Wird im Rahmen von Corporate Compliance ein Verhaltenskodex eingeführt, so werden die Verhaltensanweisungen erstmals kodifiziert und können daher als „Grundgesetz eines Unternehmens“ bezeichnet werden. Durch den Verhaltenskodex wird den Mitarbeitern mitgeteilt, welches Verhalten von ihnen erwartet und welches Verhalten abgelehnt wird.
In Deutschland gibt es keine gesetzliche Bestimmung, die Unternehmen verpflichtet, einen Verhaltenskodex zu erstellen oder zu implementieren. Dennoch führen immer mehr Unternehmen Regelwerke ein, die bestimmte Verhaltensweisen für sämtliche Mitarbeiter verbindlich machen und gleichzeitig der Unternehmensumwelt ein genaues Bild von dem Unternehmen und seiner Philosophie vermitteln sollen. Diese Kodizes können unterschiedliche Bezeichnungen haben: „Code of Ethics“, „Ethik-Richtlinien“, „Code of Conduct“, „Verhaltenskodex“ etc. Alle stellen Begriffe wie Verantwortung, Nachhaltigkeit, ethisches Miteinander, Transparenz, Vertrauen, Standards in den Mittelpunkt.
Der „Code of Conduct“ eines Unternehmens oder auch „Code of Business Principles“ genannt, bildet auch das Herzstück eines Compliance-Managements. Der Kodex listet die wesentlichen Compliance-Regelungen auf und formuliert diese in Handlungs- und Verhaltensrichtlinien für Mitarbeiter. Diese Richtlinien sollen den Mitarbeitern Sicherheit in alltäglichen Geschäftssituationen geben sowie im Umgang mit Kollegen und gegenüber Externen.
Hansen et al. sehen die Compliance-Kultur in einem Unternehmen als wichtige Vor-aussetzung für ein regelkonformes Verhalten der Mitarbeiter und stellen daher den „tone at the top“, also das regelkonforme Verhalten des Managements und dessen Unterstützung aller Compliance-Bemühungen in den Mittelpunkt ihrer Forschung.
Die Basis des Corporate-Governance-Gedankens bildet die Prinzipal-Agenten-Theorie. Dieser Ansatz geht zurück auf die Notwendigkeit der Überwachung des Managements durch die Eigentümer von Unternehmen, da die Eigentümer über ungleich verteilte Informationen zu Ungusten der Eigentümer (Prinzipale) gegenüber den Managern (Agenten) verfügen. Das Prinzipal-Agenten-Problem bildet den theoretischen Hintergrund in der engen Definition des Begriffs der Corporate Governance und problematisiert damit zunächst nur die Trennung von Eigentum und Kontrolle.
Im Mittelpunkt der Prinzipal-Agenten-Theorie steht der Vertrag zwischen Prinzipal (Auftraggeber) und Agent (Auftragnehmer). Da das Wissen und die Umwelt des Prinzipals unvollständig sind, geht die Theorie davon aus, dass der Agent versucht eigennützig zu handeln und seinen Nutzen zu maximieren. Der Prinzipal läuft Gefahr, dass der Agent seine Handlungsspielräume zu seinem Vorteil ausnutzt und zum Nachteil des Auftraggebers. Um dem entgegenzuwirken, wird ein System von Regeln, Zustimmungsverfahren und Verhaltensnormen etabliert, mit dem Ziel, das Verhalten eines einzelnen Akteurs im Interesse der Maximierung bzw. des Nutzens von Prinzipalen zu beschränken.
Die Kosten, die dabei entstehen, werden Agency-Kosten genannt. Diese setzen sich zum einen aus den Kontroll-Kosten des Prinzipals und den Signalisierungskosten des Agenten zusammen. Kontroll-Kosten entstehen, wenn der Prinzipal Handlungen unternimmt, um sein Informationsdefizit gegenüber dem Agenten auszugleichen. Dies können sowohl Planungs- und Kontroll-Systeme sein, aber auch Anreizsysteme wie Incentivierungen. Signalisierungskosten beziehen sich auf die Handlungen des Agenten, wie z. B. Referenzen, Zeugnisse, Sicherheitsleistungen.
Um die Handlungen der Agenten im Sinne des Prinzipals zu beeinflussen, haben sich in Unternehmen unterschiedliche Anreiz- und Sanktionssysteme etabliert. Hrishikesh Vinod listet die verbreitetsten auf: Provisionen, Tantieme, Auslobung von Preisen und Auszeichnungen, aber auch Überwachung am Arbeitsplatz etc. Trotzdem kann das Informations-Gap durch solche Maßnahmen nicht gelöst werden, sondern nur mit einem „Work around“ umgangen. In der Prinzipal-Agenten-Theorie wird deshalb einer misstrauische und kontrollierende Haltung gegenüber den Agenten empfohlen. Jedoch konnte in der Forschung festgestellt werden, dass ein solcher misstrauens-basierter Ansatz von Corporate Governance auch ungewünschte Nebeneffekte haben kann.
Ein Manko der Prinzipal-Agenten-Theorie ist, dass sein Rational-Choice-Ansatz allein von der individuellen Nutzenmaximierung ausgeht. Jedoch wiederlegen Studien diese Fokussierung auf Opportunismus und weisen altruistisches Verhalten beim Menschen in verschiedenen Situationen nach. Zwar lässt sich experimentell nachweisen, dass Individuen häufig ihr Verhalten nach ihrem persönlichen Nutzen ausrichten. Doch ebenso finden sich Beispiele, dass Individuen sozial und kooperativ oder altruistisch handeln. Diesen scheinbaren Gegensatz haben Sozialwissenschaftler wie Mark Granovetter oder James Coleman versucht, in ihren Arbeiten zu erklären.
Hambrick, v. Werder et al. warnen daher vor einer allzu engen Fokussierung auf das Prinzipal-Agenten-Verhältnis: „Corporate Governance does not begin and end with principals, agents, and the (in)completeness of contracts. There is considerable opportunity and need to explore the extensive web of institutional actors that influence governance practices in contemporary societies.” Dieses weit verzweigte Netz von Akteuren im Rahmen von Governance sollte daher noch mehr Berücksichtigung in der Forschung finden.